Funky über den Song EBBE UND FLUT
Als ich die Tarot-Karte „Der Mond“ zog, offenbarte sich intuitiv das Bild, wenn nachts Wölfe heulen und Hunde den Mond anbellen, der voll hell, träge durch die Dunkelheit reist und sein fahles Licht spendet. Es regt sich so vieles. Wassertiere laichen, Eulen jagen. Fledermäuse flattern eilig durch die Nacht, folgen leise ihrem Meister Dracula auf der Suche nach Blut zum lustvollen Biss. Verrauchte Kneipen füllen sich mit lauter Musik, Unterhaltung und Spiel, Sehnsüchte drängen in den Lenden, Adrenalin liegt in der Luft. Libido und kriminelle Energie steigen, der Einfluss des Trabanten nimmt zu.
So war es schon in uralten Zeiten, in der Antike, an geheimen Orten, in Tempeln über Meeresklippen oder in Steinkreisen als Frauen mit berauschenden Tränken in heiligen Riten ekstatisch den Mond anbeteten, gottgleich verehrten und ihre Zyklen miteinander teilten. Das ist Atmosphäre, die ich sinnigerweise in dem Songtext „Ebbe und Flut“ ausdrücken wollte.
Laut einer vorher festgelegten Vorgehensweise war Rio mit der Komposition am Zug. Sein Wunsch als musikalische Hausnummer waren die Stones, für mich hieß das ein sattelfestes Charlie Watts Drumspiel. Aber ich wollte etwas anbieten, dass außerhalb des gängigen Rock-Klischees lag. Zu dieser Zeit war ich von der Musik des Cannonball Adderley Quintetts fasziniert. In einem Stück mit ausgefeilten Bläsersätzen spielte der Drummer Roy McCurdy schneidige Offbeats dazu. Dieses dynamische Schlagzeugspiel inspirierte mich. Also spielte ich bei den Strophen Off-Beats im Achtelmodus auf der Hi-Hat und im Refrain auf den Toms Viertel-Off-Beats und mit Snare und Bassdrum einen ausgetüftelten Groove. Das funktionierte: Kais Achtel-Bassläufe bekleideten die Strophen gerade auf die Eins und ich dazu im Gegenrhythmus. Dadurch bekam das Lied einen unglaublichen Drive. Die knallharten Gitarren-Riffs von Rio und Lanrue mischten das Ganze auf. Darüber der magisch euphorische Gesang von Rio, gefolgt von seinem animalischen Urschrei direkt zum Start Lanrues aufwühlendem Gitarren-Solo.
Lanrue fragt mich heute noch: „Funky, wo ist denn hier die Eins?“ Nach dem Einzählen muss man höllisch aufpassen, dass man auf der Schiene bleibt, nicht rausfliegt. Diese Art zu spielen umarmt den Inhalt des Textes mit der Musik und puscht den Song hoch.